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Altaische Sprachen 1Im Folgenden ergeben sich zwei Tendenzen – Verengung und Erweiterung der altaischen Sprachgruppe. Die zunächst von fast allen Forschern auf Grund typologischer Gemeinsamkeiten vertretene uralisch-altaische Einheit wurde aufgegeben. Sie findet heute keine wissenschaftlichen Anhänger mehr, ist aber immer noch in der populären Literatur verbreitet. In der Folge wird die genetische Einheit Turkisch-Mongolisch-Tungusisch in Frage gestellt oder sogar aufgegeben und diese drei Familien werden als genetisch separate Gruppen aufgefasst (G. Clauson 1956, G. Doerfer 1963). Die unbestreitbaren Gemeinsamkeiten dieser drei Sprachfamilien werden von Clauson und Doerfer ausschließlich typologisch oder als Folge von – teilweise sehr frühen – Sprachkontakten und Entlehnungen interpretiert (dagegen äußerst entschieden R. A. Miller 1991). Von anderen Forschern werden hingegen dem eigentlichen Altaischen noch weitere Einzelsprachen hinzugefügt, nämlich
So entstehen verschiedene Formen des Makro-Altaischen, die unterschiedlich klassifiziert werden. Ramstedt 1957 betrachtet – zusätzlich zum Turkischen, Mongolischen und Tungusischen, deren genetische Einheit er als erwiesen ansieht – das Koreanische als einen vierten unabhängigen Zweig der altaischen Familie. Ramstedt 1957
Poppe 1965 geht von einer Zweiteilung in eine eigentliche altaische Gruppe und dem Koreanischen als gleichrangiger Zweig aus. Im eigentlichen Altaischen stellt er das Mongolisch-Tungusische als eine enger verwandte Gruppe den Turksprachen gegenüber (die er – wie viele andere – in das eigentliche Turkische und das Tschuwaschische aufspaltet). Poppe 1965
Miller 1971 nimmt das Japanische hinzu, Street 1962 und Patrie 1982 auch noch das Ainu. Während Street und Patrie die eigentliche altaische Gruppe gegen eine Einheit Koreanisch-Japanisch-Ainu setzen, sieht Miller eine westliche Gruppe (Türkisch-Tschuwaschisch) und eine östliche aus Mongolisch, Tungusisch, Koreanisch und Japanisch (wobei er das Tungusische enger zum Koreanisch-Japanischen stellt). Street 1962 / Patrie 1982
Miller 1971
Die makro-altaischen Tendenzen finden ihre extreme Ausprägung in der nostratischen und eurasiatischen Hypothese, die das Altaische insgesamt oder einige seiner Komponenten als Zweige der nostratischen bzw. eurasiatischen Makrofamilie ansieht. Hier als Beispiel die eurasiatische Makrofamilie Greenbergs und die Position der altaischen Sprachen innerhalb dieser Makrofamilie (makro-altaische Gruppe in Halbfett): Greenberg 2000
Innerhalb der nostratischen Hypothese nehmen die altaischen Sprachen eine ähnliche Position wie im Eurasiatischen ein (siehe Artikel Nostratisch). Da die eurasiatische und nostratische Makrofamilie bisher nur sehr geringe Akzeptanz in der Fachwelt gefunden haben, ist auch die Frage der Einordnung der altaischen Sprachen hypothetisch. Etliche Forscher gehen heute – trotz weiterbestehender Zweifel ihrer Kritiker – aufgrund lexikalischer, morphologischer, syntaktischer und phonetischer Gemeinsamkeiten von der genetischen Einheit der Turksprachen, des Mongolischen und Tungusischen als altaische Sprachfamilie aus. Entsprechend gibt es unter diesen Wissenschaftlern verschiedene Bestrebungen zur Rekonstruktion der gemeinsamen Protosprache. Die Hinzunahme des Koreanischen findet dabei einige, aber nicht durchgehende Unterstützung. Deutlich geringer ist die Zustimmung zum Japanischen als Mitglied der altaischen Familie. Dies gilt noch mehr beim Ainu, obwohl einzelne Arbeiten durchaus interessante Ansätze enthalten. Es sollte aber nicht übersehen werden, dass eine nach wie vor große Gruppe von Forschern die genetische Einheit des Türkisch-Mongolisch-Tungusischen für bisher unbewiesen, grundsätzlich unbeweisbar oder gar für definitiv widerlegt halten. Zwei Szenarien der sprachlichen Entwicklung stehen sich daher im Wesentlichen gegenüber:
Es gibt keine überwältigende Fülle überzeugender Wortgleichungen, die Komponenten aus allen fünf potentiellen Zweigen des Altaischen enthalten. Viel zahlreicher sind zweiseitige turksprachig-mongolische, mongolisch-tungusische, koreanisch-tungusische oder koreanisch-japanische Parallelen. Dennoch lassen sich durch den Vergleich der rekonstruierten Protoformen aus dem Bereich der Körperteile einige interessante „altaische" Parallelen finden. (Nach S. Starostin, Altaic Etymological Dictionary. Schreibweise vereinfacht). Turksprachige, mongolische und tungusische Proto-Formen (Körperteile)
Die nächste Zusammenstellung erweitert das Spektrum auf einen größeren Ausschnitt des Grundwortschatzes. Zusätzlich zu den turksprachlichen, mongolischen und tungusischen Formen werden auch koreanische und japanische herangegezogen. Allerdings beziehen sich die Wortgleichungen nicht mehr nur auf Einzelbegriffe, sondern auf teilweise recht weite Bedeutungsfelder. Die Darstellung umfasst für jeden Begriff bzw. jedes Bedeutungsfeld in der ersten Zeile die rekonstruierten Protoformen der fünf Protosprachen (beim Koreanischen und Japanischen die ältesten belegten Formen), außerdem die hypothetische altaische Protoform. In einer zweiten Zeile wird dann ein konkretes Beispiel aus einer Einzelsprache angeführt: Türkisch für die Turksprachen, Chalcha für die mongolische Familie, eine tungusische Einzelsprache (Mandschu oder Ewenki) und neuere Formen des Koreanischen und Japanischen. Da an den Wortgleichungen dieser Tabelle vieles interpretierbar ist (zum Beispiel die Rekonstruktion der Protoformen, die Breite des Bedeutungsfeldes) kann man sie trotz der Fülle an Daten nicht unmittelbar als einen Beweis der genetischen Einheit der makro-altaischen Sprachgruppe bzw. des Altaischen i. w. S. betrachten. Viele Parallelen könnten auch auf Sprachkontakte und Entlehnungen zurückzuführen sein. Auf der anderen Seite zeigt dieses Material – das man um ein Vielfaches erweitern könnte –, dass eine genetische Einheit – wenigstens des Altaischen im engeren Sinne – auch nicht einfach von der Hand zu weisen ist. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die makro-altaischen Sprachen eine genetische Einheit bilden. Die Wahrscheinlichkeit einer Einheit des Altaischen im engeren Sinne – also Turksprachen-Mongolisch-Tungusisch – ist deutlich höher als die Wahrscheinlichkeit der makro-altaischen Variante. Es kann aber letztlich auch nicht ausgeschlossen werden, dass alle gezeigten Parallelen auf Kontaktphänomene und Entlehnungen zurückgehen. Klar ist aber auch, dass nach dem heutigen Kenntnisstand eine Aussage der Art „es gibt mit Sicherheit keine genetische Einheit der altaischen Sprachen" nicht haltbar ist. Vielleicht führen künftige Forschungsresultate zu eindeutigeren Ergebnissen. So konnte bis heute nur rund ein Drittel der beiden Varianten der Kitan-Schrift entziffert werden, wobei die verwendeten Zeichen eben nicht nur Logogramme, sondern auch Morpheme wiedergeben und damit direkte Rückschlüsse auf die damals verwendete altmongolische Sprache vor dem 12. Jh. erlauben. Die Mongolei und Mandschurei sind heute zudem archäologisch noch nicht so gut erforscht, dass weitere bedeutende Textfunde mit Rückschlüssen auf die früher dort gesprochenen mongolischen und tungusischen Sprachen ausgeschlossen werden können, die sich dann mit den ältesten türkischen Texten vergleichen lassen. Aufschlussreich wäre in diesem Zusammenhang auch die intensivere Bearbeitung der konservativen Kleinsprachen der drei Sprachfamilien und nicht nur hauptsächlich der nach Zahl ihrer Sprecher bedeutendsten Sprachen, das vermehrte Heranziehen frühester Schriftquellen aller 5 Hauptgruppen und die Ausarbeitung einer vergleichenden altaischen Morphologie des Verbums analog zu den bereits vorhandenen Rekonstruktionen der Kasus des Nomens. Ob eine Behandlung des (Makro-) Altaischen im Rahmen der Makrofamilien Eurasiatisch und Nostratisch mehr Klarheit in dieses Problem bringen kann, ist umstritten, da diese Makrofamilien ihrerseits nicht auf gesicherten Fundamenten stehen. Altaistik ist als Oberbegriff der Wissenschaftsdisziplinen, die sich mit den entsprechenden Sprachen, Völkern, Geschichte(n) und Kulturen beschäftigen, bis heute in der wissenschaftlichen Welt in Gebrauch. Ein Grund dafür ist die Tradition und die Struktur von Lehr- und Forschungseinrichtungen. Darüber hinaus sind jenseits der in Frage gestellten sprachgenetischen Verwandtschaft viele andere historische und kulturelle Gemeinsamkeiten zu betrachten. Auch die Erforschung des zumindest existierenden altaischen Sprachbundes, der die Turksprachen und mongolischen und tungusischen Sprachen umfasst, vielleicht auch das Koreanische und Japanische, macht eine Altaistik auch in Zukunft als Fach und Forschungsgebiet sinnvoll und wertvoll. Sie könnte auch – zusammen mit derUralistik und Indogermanistik – den Kern einer Forschungsrichtung darstellen, die sich mit der aktuellen Thematik der eurasischen Makrofamilien (Eurasiatisch und Nostratisch) befasst.
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